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Das Netzmagazin (2006)
von Magdalena Pfaffl

 
Die junge Schweizerin Karin Richner debütiert mit «Sind keine Seepferdchen» in diesem März und schuf damit gleich zu Beginn ihrer literarischen Karriere ein unverkennbares Werk über die Einsamkeit und das Verlassen-werden.

Keine Frage, ein Titel wie «Sind keine Seepferdchen» macht neugierig, doch man muss sich schon weit vorwagen in die Einsamkeit von Karin Richners Protagonistin, um ihn zu verstehen. Denn Seepferdchen, so schreibt sie, bleiben, wenn sie sich einmal gefunden haben, für ein Leben lang zusammen. Menschen jedoch können durch verschiedene Umstände von einander getrennt werden. Und von eben solchen Menschen schreibt Richner: Von zwei Schwestern, die das ganze Leben miteinander verbracht haben, bis eine alleine zurückblieb. 
Stilistisch geht Richner mutig ihren eigenen Weg. Die Ich-Form gibt ihrer Heldin eine so plastische Realität, dass man sich fast unweigerlich zu fragen beginnt, wie viel von Richner selbst in ihr stecken mag. Nicht nur, weil sie, wie Richner auch, eine junge Autorin ist. Richner spart an der Handlung, erzählt nur aus wenigen Wochen im Leben ihrer Protagonistin, und verleiht doch genau darum den einzelnen Momenten mehr Tiefe. In der Erzählzeit Gegenwart erzählt ist es leicht, ihren Gedankengängen zu folgen und die Geschichte wirkt unmittelbarer. 
Die überraschende Begegnung mit dem Kind Ramona gibt Richners Heldin, die alleine im Haus ihrer Eltern wohnt, neuen Mut und seltene Momente des Glücks; sie wagt die Wohngemeinschaft mit der Studentin Martina, doch sie scheitert, flieht verängstigt von der Person in ihrem Haus zu einer Freundin. Doch auch dort findet sie kaum etwas als Einsamkeit inmitten vieler Menschen. Und auch die Freundin ihrer Schwester, Katie, kann ihr außer ein paar Erinnerungsfetzen nichts geben und beweist höchstens, dass sie selbst es ist, die sich in der Einsamkeit gefangen hält. 
Im Grunde könnte man Richners Roman als «Entwicklungsroman» bezeichnen, doch für ihre Heldin scheint es keinen Ausweg aus der unerträglichen Leere zu geben, die ihre Schwester Anna hinterlassen hat. Ihren einzigen Trost findet sie in der Erinnerung, wenn sie Anna an Orten und mit Menschen nahe ist. Daran können weder Ramon noch Martina noch Katie etwas ändern. Oder hat sich doch etwas bewegt in ihr, als sie sich und dem Leser am Ende wenigstens ehrlich eingesteht, dass sie Anna niemals zurück haben kann und ausspricht, was man doch mindestens vermutet hat? 
Karin Richner hat mit ihrem ersten Roman gleich ein sehr bemerkenswertes Stück Literatur vorgelegt und Mut zu ihrem eigenen Stil bewiesen. «Sind keine Seepferdchen» ist ein äußerst intelligent geschriebener Einblick in eine der größten Ängste des Menschen: Die Angst, geliebte Menschen zu verlieren und in Einsamkeit zurück zu bleiben. Lektüre für nebenbei ist das Buch damit ganz bestimmt nicht, aber dafür umso empfehlenswerter für alle, die neugierig sind auf junge Gefühle und Eindrücke direkt aus der Realität. 
Es bleibt zu hoffen, dass sich Karin Richner nicht als «One-Hit-Wonder» entpuppt, sondern noch weitere so tiefgehende Romane vorlegen wird wie «Sind keine Seepferchen».

 

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